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Internationale Ehe - Welches Gericht entscheidet über die elterliche Sorge?

Für die Zuständigkeit von Gerichten in Sorgerechtsstreitigkeiten innerhalb der Europäischen Union ist es gem. Art. 8 I Brüssel IIa-VO ausschlaggebend, in welchem Staat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Antragstellung hat. Doch wie wird dieser bestimmt und sind noch weitere Umstände zu berücksichtigen? Im Folgenden soll diesbezüglich anhand eines Verfahrens vor dem OLG Stuttgart ein kurzer Überblick verschafft werden.

Sachverhalt:

Im Jahr 2013 bekommen zwei nicht miteinander verheiratete spanische Staatsangehörige in Spanien ein Kind. Nach der Trennung stellen beide im Oktober 2017 Sorgerechtsanträge vor dem erstinstanzlichen spanischen Gericht. Im November 2017 zieht die Mutter mit dem Kind nach Deutschland und behauptet, der Vater hätte hierzu seine Zustimmung erteilt. Dem Vater wurde daraufhin im Jahr 2019 von dem spanischen Gericht die Personensorge und die Obhut für das Kind ausgesprochen, soweit die Mutter nicht binnen zwei Monaten nach Spanien zurückkehren sollte. Nach Ansicht des Gerichts hatte der Vater dem Umzug nach Deutschland nicht zugestimmt. Das Kind wurde vom Gericht nicht angehört.

Im Zuge eines in Deutschland ausgeübten Umgangsrechts nahm der Vater 2019 das Kind nach Spanien mit. Ein paar Tage nach der Ankunft in Spanien teilte er der Mutter mit, dass das Kind nun in Spanien leben werde. Hierauf beantragt die Mutter noch im Jahr 2019 eine einstweilige Anordnung auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge vor einem Amtsgericht in Deutschland. Dieses überträgt der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Der Vater hält dem entgegen, dass das deutsche Amtsgericht nicht zuständig gewesen sei und legt Beschwerde ein.

Entscheidung des Beschwerdegerichts OLG Stuttgart:

Das OLG Stuttgart stellte fest, dass die Beschwerde keinen Erfolg hat. Dies begründete das Gericht mit dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes gem. Art. 8 I Brüssel IIa-VO. Das Gericht stützte sich hierbei auf die Rechtsprechung des EuGHs, nach welcher der gewöhnliche Aufenthalt als Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung zahlreicher Gegebenheiten zu treffen ist.

1. Wann liegt ein gewöhnlicher Aufenthalt vor?

Ein ausschlaggebendes Kriterium ist die Dauer des Kindesaufenthaltes im betreffenden Mitgliedsstaat. Grundsätzlich gilt, je länger ein Aufenthalt an einem neuen Ort andauert, umso mehr wird dieser zu einem gewöhnlichen Aufenthaltsort. Zur Orientierung: Ein gewöhnlicher Aufenthalt wird in der Regel nach sechs Monaten angenommen. Der gewöhnliche Aufenthalt kann aber auch nach kürzerer Zeit angenommen werden, wenn die Ausreise in den betreffenden Staat rechtmäßig erfolgt und auf Dauer angelegt ist. Bei widerrechtlichem Verbringen eines Elternteils in den betreffenden Staat ist eine erhöhte Dauer von mindestens einem Jahr für das Begründen eines gewöhnlichen Aufenthalts vorausgesetzt.

Im vorliegenden Fall war dies trotz des eventuell widerrechtlichen Verbringens des Kindes nach Deutschland unproblematisch, da das Kind deutlich über ein Jahr in Deutschland verbrachte.

Ein weiteres Kriterium für das Annehmen eines gewöhnlichen Aufenthalts ist, dass der Aufenthalt ein Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist. Dies ist anhand der Regelmäßigkeit und der Umstände des Aufenthalts, sowie der Gründe für den Aufenthalt und den Umzug der Familie, der Staatsangehörigkeit des Kindes, des Ortes und der Umstände der Einschulung, der Sprachkenntnisse und der familiären und sozialen Bindungen im betreffenden Staat zu bewerten.

In der Entscheidung des OLG Stuttgarts spielte es demnach eine Rolle, dass das Kind nach Berichten des Kindergartens weitgehend sozial integriert und die sprachliche Entwicklung gut vorangeschritten war. Zudem wurde das Kind in Deutschland eingeschult.

Exkurs: Kann der gewöhnliche Aufenthalt trotz Prüfung aller genannter Kriterien nicht festgestellt werden, so sind nach Art. 13 Brüssel IIa-VO die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in denen sich das Kind befindet.

2. Fehlende Kindesanhörung

Das Kind ist gem. Art. 23 lit. b Brüssel IIa-VO – außer in dringenden Fällen – in Verfahren über die elterliche Verantwortung anzuhören. Erfolgt keine Kindesanhörung und wird dadurch ein wesentlicher verfahrensrechtlicher Grundsatz des Mitgliedsstaates verletzt, kann die Entscheidung nicht anerkannt werden. Dies ist in Deutschland der Fall, da die Kindesanhörung in Deutschland einen Verfassungsgrundsatz mit Verfassungsrang darstellt. Folglich hat das OLG Stuttgart die Entscheidung des spanischen Gerichts nicht anerkannt. Es konnte somit mit der Mitnahme des Kindes nach Spanien kein neuer gewöhnlichen Aufenthalt begründet werden (jedenfalls unter der Aufenthaltsdauer von einem Jahr), sodass die gerichtliche Zuständigkeit in Deutschland verblieben ist, gem. Art. 8 I Brüssel IIa-VO.

3. Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts

Wird im Laufe des Gerichtsverfahrens ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet, so bleibt das ursprünglich angerufene Gericht in einem anderen Mitgliedstaat zuständig. Jedoch ist dann das materielle Recht des neuen gewöhnlichen Aufenthalts anzuwenden.

Gerne beraten oder vertreten wir Sie zu diesem familienrechtlichen Thema. Zur Vereinbarung eines Termins rufen Sie uns bitte an (Tel 089/23 66 33 0) oder nehmen hier Kontakt zu uns auf.


Amadeus Hesselink
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Familienrecht







Eingestellt am 06.02.2022
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